Kaplitel 7.2 - Vanlife: Die Realität hinter der Romantik – Zwischen Freiheit, Verzicht und echtem Leben auf Rädern

Vanlife beginnt nicht mit Sonnenuntergängen.

Es beginnt mit einem Traum – und mit einem langen Weg dorthin. Und dieser Weg lehrt dich zuerst eines: Verzicht.

Am Anfang steht die Reduktion. Du startest mit zu viel. Du nimmst Dinge mit, die du „sicherheitshalber“ brauchst – Dinge, die dir das Gefühl geben sollen, vorbereitet zu sein. Und dann merkst du unterwegs, dass du dir das falsch vollgestellt hast. Also fängst du an auszuräumen. Wieder und wieder. Und irgendwann stellst du fest: Eigentlich brauchst du fast nichts. Bequemlichkeit wird verhandelbar. Komfort wird zur Währung.



Ein Knopfdruck und der Kaffee läuft – das war früher.
Heute heißt Kaffee: Gas aufdrehen, Wasserstand checken, Topf festhalten, weil der Wind versucht, dir den Morgen zu stehlen.

Ich stehe an der windigen Küste und putze mir die Zähne, während das Meer unter mir tobt – ein echter Vanlife-Moment zwischen Einfachheit, Salz und Sonnenaufgang
Duschen?

Ja. Aber nur, wenn genug Wasser da ist. Und Duschen ist nicht gleich Duschen.
Meine persönlich unangenehmste Dusche hatte ich in Südfrankreich. Ich hatte seit Tagen nicht geduscht. Dieses schwere, klebrige Gefühl auf der Haut am Morgen war so unangenehm, dass ich wusste: Es geht nicht mehr anders. Aber es war nicht wie Zuhause, wo du einfach ins Bad gehst, warmes Wasser aufdrehst und Wärme deinen Rücken runterläuft.

Es waren sechs Grad Außentemperatur. Nieselregen von der Seite. Wind. Matsch unter den Füßen. Und das Wasser im Tank – kaum 25 Liter – war genauso eiskalt wie die Luft. 

Also stand ich da – frierend, nackt, mitten in der freien Natur. Ungeschützt von allen Seiten. Der Wind peitschte über meine Haut, und ich zwang mich, das eiskalte Wasser über mich laufen zu lassen. Jeder Liter war vollkommen unangenehm. Ich zitterte, ich fluchte, ich lachte – einfach, weil ich sonst geschrien hätte. Das Wasser im Tank war so kalt wie die Luft, und ich wusste: Ich darf mich waschen, aber ich darf auch nichts verschwenden. Denn Wasser ist unterwegs kostbar. Ich brauche es zum Kochen, zum Kaffee, zum Abwaschen – manchmal auch einfach für die Toilette. Es war ein gefährliches Spiel mit der Menge, immer an der Grenze zwischen „genug“ und „zu wenig“.

Als mir irgendwann wieder halbwegs warm war und alles wieder verstaut, saß ich im Bus, eingehüllt in Handtücher, und sagte zu mir selbst:
Wenn ich mir irgendwann einen neuen Camper kaufe oder einen umbaue – er muss nichts haben. Kein Luxus, keine Spielereien. Aber eine Dusche im Fahrzeug ist Pflicht. Und wenn es wirklich Luxus sein darf, dann vielleicht sogar warmes Wasser. Mehr wünsche ich mir nicht.

Strom?

Strom ist kein Selbstläufer. Strom ist ein täglicher Deal zwischen Verbrauch und Sonne. Wenn die Sonne da ist, leben die Batterien. Wenn – wie so oft bei mir – nur Regen kommt, dann bleibt dir manchmal nichts anderes übrig, als den Motor laufen zu lassen, Strecke zu machen nur fürs Laden oder das Aggregat anzuschmeißen. Du lernst, Energie nicht mehr als Hintergrundrauschen zu sehen, sondern als etwas Lebendiges. Als Partner. Oder Gegner.

Ein stürmisches Meer unter dramatisch grauen Wolken mit einem einzelnen Vogel, der über die Wellen fliegt – ein Symbol für Freiheit und Einsamkeit

Der Raum

Wenn du – so wie ich – keinen ausgebauten Luxus-Liner hast, sondern „nur einen Bulli“, dann zählt jeder Zentimeter. Jedes Kabel, jede Tasse, jedes Handtuch hat seinen Platz. Und wenn es diesen Platz nicht hat, dann kippt der ganze Ablauf. Das klingt banal, aber es ist Krieg in Miniatur. Ein Ladekabel, das du abends müde irgendwo hinwirfst, kann am nächsten Morgen bedeuten: Du findest nichts mehr. Du trittst drauf. Du wirst laut. Und du merkst, wie dünn der Abstand zwischen Ordnung und Chaos wirklich ist.

Kein Luxusurlaub auf Rädern

Vanlife ist kein Luxusurlaub auf Rädern.
Deshalb trenne ich für mich: Camping. Glamping. „Mit dem Camper unterwegs sein.“ Und Vanlife.

Ich habe inzwischen viele Messen gesehen. Ich habe mit Herstellern gesprochen, mit Ausbauern, mit Autohäusern, mit großen Zubehör-Anbietern. Und ganz ehrlich: Der Markt explodiert. Seit Corona wollen unglaublich viele Menschen genau das – raus, frei sein, selbst entscheiden, wo sie schlafen. Und dieser Markt bedient das. Für jeden Geschmack gibt es inzwischen etwas. Für jede Komfortzone. Für jedes Sicherheitsbedürfnis. Vom All-inclusive-Wohnmobil mit Satellitenschüssel, Klimaanlage und elektrischer Fußbodenheizung bis hin zum rollenden Tiny House mit Ofenoptik und Ambientebeleuchtung. Das alles existiert. Und das ist völlig okay. Das darf es geben. Es soll für jeden etwas dabei sein.

Aber: Eine „Copy & Paste“ von Zuhause auf vier Rädern ist für mich kein Vanlife.
Das ist Reisen. Das ist Urlaub. Das ist Komfortmobilität. Und es ist vollkommen legitim.

Back to the Roots

Nur Vanlife, wie ich es hier meine, ist etwas anderes.

Back to the roots“ heißt für mich nicht: Designerholz und Duftkerzen im Bus. „Back to the roots“ heißt etwas viel Schlichteres – und eigentlich etwas Älteres. Es ist näher an dem, was in den Sechzigern und Siebzigern passiert ist, als Leute mit alten Bussen losgezogen sind. Hippies, Aussteiger, Menschen, die fast nichts hatten außer diesem kleinen Fahrzeug und dem Glauben, dass die Welt ihnen gehört, wenn sie fahren. Kein fahrendes Jacuzzi. Kein Satellitenfernsehen. Keine Klimaautomatik auf Knopfdruck. Das hatten sie alles nicht. Und trotzdem – oder genau deshalb – waren sie glücklich.

Das Ausbalancieren

Es ist ein ständiges Ausbalancieren.

Du wäschst dein Geschirr mit so wenig Wasser wie möglich und merkst, wie verschwenderisch du früher warst. Du lernst, wieder zuzuhören: dem Wind. Der Sonne, die vielleicht – vielleicht – deine Solarpanels lädt. Deinem eigenen Körper, der dir sagt: Heute brauchst du keinen hübschen Spot für Instagram. Heute brauchst du einen sicheren Platz für die Nacht. Einen Ort für Ruhe. Für Schutz.

In dieser Einfachheit liegt etwas, das man in Wohnungen kaum noch findet: Ehrlichkeit.

Vanlife ist das Üben von Genügsamkeit – nicht, weil Minimalismus gerade Trend ist, sondern weil du sonst nicht klarkommst.

Und dann passiert etwas Seltsames, wenn du dich wirklich auf dieses Spiel mit den Elementen einlässt:
Dieses scheinbare „Weniger“ fühlt sich irgendwann nach „Mehr“ an.

Mehr Klarheit

Mehr Bewusstsein

Mehr Nähe zu dir selbst.

Das „Ich brauche“ wird kleiner. 

Das „Ich bin“ wird größer.

Das ist die erste Wahrheit hinter der Romantik:


Du gibst Komfort ab – und bekommst dich selbst zurück.


            



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