Kapitel 7.5 - Vanlife - Auf den Spuren der Freiheit
Von Grenoble bis ans Meer. Von der Flucht zum ersten Atemzug.
Als ich an diesem Morgen in Grenoble wach wurde, roch die Luft nach Croissants, Benzin und einem neuen Tag. Ich saß vor meinem Bulli, blickte auf den Parkplatz vor dem Supermarkt und trank den vielleicht besten Kaffee meines Lebens – nicht, weil er besonders war, sondern weil ich ihn wieder spüren konnte. Für einen Moment war da Ruhe. Wärme. Leben.
Doch dieser Moment war kurz. Mein eigentliches Ziel lag weiter südlich: die Côte d’Azur. Ich wollte auf den Spuren von Louis de Funès nach Saint-Tropez fahren – mein Kindheitstraum, geboren aus alten Filmen und Bildern von Sonne, Meer und französischem Lachen.
Aber in Wahrheit floh ich. Vor meiner Depression, meiner Panik, meinem alten Leben. Ich wollte vergessen, wollte verschwinden – und hoffte, irgendwo zwischen Asphalt und Wellen wiederzufinden, was in mir verloren gegangen war. Ich wollte nur eines: zurück zu mir selbst.
Die ersten Tage im Bus waren alles andere als romantisch. Ich war nicht frei – ich war gefangen in mir selbst. Der Bulli war keine Bühne der Freiheit, sondern meine Festung. Ein rollendes Versteck, mein kleines Schildkrötenhaus, in dem ich mich vor der Welt schützte.
Doch dann kam die Straße, die alles änderte.
Ich hatte mich verfahren – und landete zufällig auf jener alten Route, auf der Louis de Funès einst seine legendäre Szene gedreht hatte: hupend, chaotisch, mitten in diesem südfranzösischen Licht, umgeben von wilder Natur. Plötzlich war ich mittendrin. Die Straße eng, der Wind warm, der Himmel blau und weit. Zum ersten Mal seit Monaten spürte ich wieder etwas, das sich nach Leben anfühlte.
Als ich in Saint-Tropez ankam, fuhren meine Sorgen für einen Augenblick hinter mir her. Ich rollte den Hafen entlang, sah Boote, aber kaum Menschen. Keine Musik, keine Geräusche. Die Stadt lag im Winterschlaf – und genau darin lag ihre Seele. Kein Luxustourismus, keine Kulisse. Nur das wahre Saint-Tropez: still, ehrlich, unverstellt.
Ich fand eine kleine Bucht zwischen Saint-Raphaël und Saint-Tropez, versteckt zwischen Olivenbäumen und direkt am Meer. Ein Ort, der sich nicht suchen ließ, sondern mich gefunden hatte. Hier wollte ich bleiben.
Diese Nacht war still, klar, echt. Das Rauschen der Wellen traf den Bus, vibrierte durch das Metall, und ich spürte, wie sich in mir etwas löste. Kein Wunder, kein Spektakel – nur dieses eine Gefühl: Ich lebe noch. Es war, als hätte das Meer mich zurückgerufen.
Von dort an begann etwas Neues. Ein zartes Stück Freiheit. Ein Verlangen, das langsam wuchs.
Das Leben auf vier Rädern
Das Leben auf vier Rädern hat seine eigene Wahrheit. Es klingt nach Freiheit, aber in den ersten Wochen bedeutet es vor allem eins: Verzicht.
Man schläft auf wenigen Quadratmetern, kocht auf Knien, denkt in Litern, nicht in Räumen. Und man lernt, dass Routine kein Feind ist, sondern Rettung. Alles bekommt seinen Platz – jedes Kabel, jede Tasse, jeder Gedanke. Wenn du etwas suchst und nicht findest, suchst du meistens dich selbst.
Der Bulli wurde mein Zuhause, aber auch mein Spiegel. Er zeigte mir, wie wenig man wirklich braucht – und wie viel man mit sich herumträgt.
Ich erinnere mich an meine erste Dusche in Südfrankreich: sechs Grad, Wind vom Meer, keine Wärme. Ich stand draußen, nackt, zitternd, mit einer kleinen Außendusche in der Hand – das Wasser eiskalt, der Himmel grau. Es war erbärmlich, ehrlich und irgendwie heilig zugleich. Ich fluchte, lachte, atmete. Und während das Wasser über meine Haut lief, wurde mir klar:
Freiheit ist nichts, was man sich kauft – sie ist das, was bleibt, wenn man nichts mehr erwartet.
Mit der Zeit lernte ich, wie man in Bewegung Ordnung findet. Ich lernte, Wasser zu schätzen, Strom zu planen, Geduld zu üben. Ich lernte, wie schön ein einfacher Kaffee schmeckt, wenn du ihn dir erst erarbeiten musst. Und wie gut Schlaf tut, wenn du ihn dir verdient hast.
Das Leben auf vier Rädern lehrt dich Demut. Es nimmt dir Bequemlichkeit, aber gibt dir Bewusstsein zurück. Du beginnst, den Wert in kleinen Dingen zu sehen: den ersten Sonnenstrahl am Morgen, das Geräusch des Gases, wenn der Kocher zündet, den Geruch von Holz, das trocknet. Freiheit ist kein großes Wort mehr – sie wird ein Gefühl, das in dir wohnt. Leiser, tiefer, echter.
Zwischen Pannen und Paradiesen
Natürlich war nicht alles romantisch. Der Bus machte ständig Probleme: Reifensensoren, Elektronik, Fehlermeldungen. Kleinigkeiten, die mich jedes Mal aus dem Gleichgewicht brachten. Ich bin kein Mensch, der mit solchen Dingen gelassen umgeht – und genau das musste ich lernen.
VW verkauft Träume in Hochglanz. Die Realität war eine Werkstatt auf Rädern. Und auch das gehört zur Wahrheit: Nichts ist perfekt. Nicht das Leben. Nicht der Weg. Nicht der Bus.
Ich fuhr weiter – entlang der Küste, durch die Provence, über schmale Straßen, vorbei an Licht und Salz und diesem typischen Geruch nach Süden. Am Abend erreichte ich Monaco und fand oberhalb der Stadt einen Platz im Naturpark. Vor mir lag die Riviera, unter mir das Glitzern der Stadt – wie ein Spiegel aus Licht. Der Himmel war klar, die Luft still, und für einen Moment sah alles friedlich aus.
Dann kamen sie: Wildschweine, lautlos, selbstverständlich, mit ihren Frischlingen. Sie liefen dicht an meinem Bus vorbei, während ich draußen saß, aß und einfach schaute. Unter mir Luxus, Yachten, Hubschrauber, Kaviar und Champagner – und ich, allein in meinem kleinen Bus, barfuß, mit einem einfachen Abendessen und diesem Blick über das Meer.
Es war kein Luxus. Aber es war Freiheit. Und vielleicht war genau das der Moment, in dem ich verstand, was Reichtum wirklich bedeutet.
Was bleibt
Je länger ich unterwegs war, desto mehr verschob sich mein Blick. Ich brauchte keinen Luxus. Ich habe auf dieser Reise zwei Dinge verstanden: dass „Luxus“ nichts anderes ist als Kommerz – etwas, das man uns verkauft, aber das wir nicht wirklich brauchen – und dass der größte Reichtum darin liegt, die Schönheit dieser Welt zu sehen, die Natur zu fühlen und mit sich selbst wenigstens ein Stück weit im Einklang zu leben.
Diese Reise hat mich nicht geheilt. Aber sie hat mir gezeigt, dass Heilung nicht laut ist. Sie geschieht leise – irgendwo zwischen zwei Atemzügen, auf einem Parkplatz, am Meer, irgendwo zwischen Angst und Aufbruch.
Als ich über den Gardasee zurück nach Hause fuhr, verbrachte ich meine letzte Nacht auf einem Bergplateau – minus zwanzig Grad, Stille, Sterne. Am Morgen brach das erste Licht über die Alpen, und in diesem Moment wusste ich: Das war kein Ende. Das war der Anfang.Der Anfang eines neuen Lebensgefühls. Des Verlangens, zu entdecken. Des Wissens, dass Freiheit nicht dort beginnt, wo die Straße anfängt – sondern dort, wo du aufhörst, dich zu verstecken.
Willkommen an Bord.





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